Warum Waldorfschüler keine Baumliebhaber sind
Essen. | 20.05.2014 | 12:00 Uhr |
Alle Waldorfschüler sind Baumliebhaber und Namenstänzer – so die lauten gängigsten Vorurteile. Zu Unrecht, sagt Zeus-Reporter Anais Vogel, selbst drei Jahre auf der Waldorfschule. Dort gebe es nur ein leicht verändertes Lernsystem und einige zusätzliche Schulfächer – sonst sei alles ganz normal.
Wer hat wohl noch nicht von ihnen gehört? Den Schülern, die angeblich Bäume umarmen und im regulären Unterricht lernen, ihren Namen zu tanzen. Ich selber kann zu meinem Glück drei Schuljahre auf der Waldorfschule vorweisen. Und kann auch bezeugen, wie oft man gefragt wird, ob man nun wirklich seinen Namen tanzen kann. Und ja, das kann ich.
Aber das ist nicht allein der Grund, weshalb ich diesen Text schreibe. Nicht allzu selten werden Waldorfschüler beleidigt oder vorverurteilt von Schülern anderer Schulen. Und dies ist doch ziemlich ungerecht. Diese Schüler unterscheiden sich nicht von anderen Schülern, die nicht auf die Waldorfschule gehen. Sie haben nur ein leicht verändertes Lernsystem und haben ein paar zusätzliche Schulfächer, wie zum Beispiel das Namentanzen, das eigentlich Eurythmie heißt und eher in die Richtung Ausdruckstanz geht, Holzwerken, Gartenbau und Handwerken.
Vorurteile werden im Internet verbreitet
Stöbert man nur kurz im Internet, findet man in Foren und privaten Seiten schnell, gängige Vorurteile gegenüber Waldorfschülern. Übrigens auch auf Seiten von Waldorfschülern selbst, die sich darüber lustig machen oder Gegenargumente bringen. Man liest beispielsweise, Waldorfschüler umarmten den ganzen Tag Bäume und seien alle zurückgebliebene Ökos. Sie machten kein richtiges Abitur, bekämen keine richtigen Noten und hätten viele Fächer nicht.
Sind solche Vorurteile heute noch verbreitet? Was wissen Gymnasiasten über andere, anerkannte Schulformen wie die Waldorfschule? Wie erleben Waldorfschüler solche Vorurteile?
Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, habe ich einige Schüler aus der Mittelstufe und Lehrer des Gymnasiums Essen-Überruhr und Mittelstufen-Schüler der freien Waldorfschule in Essen befragt.
Viele Gymnasiasten würden „nie im Leben“ auf die Waldorfschule gehen
Nahezu übereinstimmende Meinung aller Gymnasiasten war, dass man auf der Waldorfschule kein Abitur machen könne.
Einige waren der Meinung, die Waldorfschule wäre nur für Kinder mit reichen Eltern. Was beides natürlich totaler Unsinn ist. Die gezielte Nachfrage nach positiven und negativen Eigenschaften der Waldorfschüler und der Waldorfschule ergab, dass den Gymnasiasten das Namentanzen, keine richtigen Noten/Zeugnisse und dass die Schule Geld kosten würde, missfalle.
Gut fanden sie, dass man langsamer lerne, weil die Waldorfschule noch G9 hat, „nützliche Dinge lernt“ und dass die Schule die Kreativität fördere. Ob die Gymnasiasten selber gerne mal auf die Waldorfschule gehen wollten, zog bis auf einen der Befragten niemand in Betracht. Dabei gab es Begründungen wie „Nie im Leben“, „Nein, ich würde durchdrehen“ oder „Weil ich die komisch finde“.
„Krasse“ Begegnungen mit anderen Schülern
Begegnungen mit Schülern anderer Schulformen schildern Waldorfschüler als „richtig krass.“ „Namentanztussi“, „Sonderschüler“ und „Baumschüler“ sind noch die harmlosen Bezeichnungen, die sie sich noch anhören müssen. „Immer“ werden sie von Außenstehenden aufgefordert, ihren Namen zu tanzen. „Das nervt! Man kann nur bitten, dass sie es lassen! Ey, das ist nicht spaßig!“ Eine Schülerin berichtet, selbst vor den eigenen Großeltern sei man manchmal nicht sicher: „Du kannst nur Frisörin werden!“
Nahezu alle befragten Lehrer sind, zumindest in Ansätzen, mit der Waldorfpädagogik vertraut. Offensichtlich ganz im Gegenteil zu den Schülern, die sie unterrichten. Alle Lehrer, die Waldorfschüler in ihre Klassen aufgenommen haben, können davon berichten, das diese die gymnasialen Lernziele erreicht haben. Zwei Lehrern sind besondere Kenntnisse aufgefallen, von“ kreativer Herangehensweise, offener, nicht eingeengter Gedankenführung“, von „Vortragen von Balladen“ und „lebhafter Teilnahme am Unterricht“ berichten sie.
Lehrer sollten Schüler über die Waldorfschule aufklären
Es ist also noch so: Die Vorurteile werden gepflegt. Die Waldorfschüler werden nicht immer für voll genommen und gerne mal belächelt. Aber die befragten Gymnasiasten haben kaum Kenntnisse über die Waldorfschule. Und ist es nicht immer so im Leben: Was der Bauer nicht kennt, dass frisst er nicht? Liebe Lehrer, da Schulwechsel in der heutigen Zeit nicht selten sind, wäre die Beschäftigung mit anderen Schulformen nicht auch einmal ein anregendes Thema im gymnasialen Unterricht? Denn nur wo Unwissenheit herrscht, wachsen Vorurteile.
Anais Vogel, 8c, Gymnasium Essen-Überruhr
Quelle: ww.derwesten.de